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Presse - Aktuell

 

BZ - Bericht vom  1. September 2018

 

 

BZ-Hautnah

 Leser besuchen das Mahnmal für ermordete Zwangsarbeiter in Elbenschwand

 Unter die Haut ging mehr als 20 Teilnehmern der Besuch des Mahnmals für fünf im April 1945 ermordete Zwangsarbeiter auf dem Hirschkopf im Kleinen Wiesental.

 
Geschichte hautnah: 20 BZ-Leser besuchten mit Hans Viardot und dem Zeitzeugen Ernst Brenneisen
das Mahnmal im Elbenschwander Wald, mit dem seit 2015 an die Ermordung von fünf jungen Zwangsarbeitern
 durch Hitlerjungen der NS-Organisation Werwolf im April 1945 erinnert wird.   Foto: Robert Bergmann

Mächtig unter die Haut ging über 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Mittwoch der Besuch des Mahnmals für fünf im April 1945 ermordete Zwangsarbeiter auf dem Hirschkopf oberhalb von Elbenschwand (Kleines Wiesental). Auf Einladung der Badischen Zeitung hatten sich die BZ-Leser aus dem Landkreis Lörrach gemeinsam mit KuK-Vertreter Hans Viardot und dem Zeitzeugen Ernst Brenneisen an den Ort begeben, der zum Schauplatz eines abscheulichen Verbrechens junger Menschen an jungen Menschen wurde.

Es ist ein bewegender Moment, als Hans Viardot die Namen der fünf kaum erwachsen gewordenen Russen, Litauer und Polen verliest, die hier – mitten im Wald und fern der Heimat – am 25. April 1945 mit Schüssen in den Hinterkopf ums Leben gebracht wurden. Ermordet von praktisch gleichaltrigen Hitlerjungen, mit denen sie in den Wochen zuvor noch an Ort und Stelle sowie im Hägelberger Wald Stellungen für die NS-Partisanenorganisation Werwolf ausgehoben hatten (siehe Hintergrund). Die Jungen wurden zu Tätern, weil ihnen Leutnant Kurt Rahäuser, ein fanatischer SS-Mann, der sie beaufsichtigte, das Töten befahl.

Im Herbst des Jahres 1945 fanden Pilzsucher 3 der Leichen

"Sie haben geschossen und sind dann panisch davongerannt", erzählt Hans Viardot Einzelheiten der Bluttat. Keiner der Jungen habe sich bis dahin vorstellen können, was es heißt, einen Menschen zu erschießen. Provisorisch seien die fünf Getöteten danach mit Tannenreisig abgedeckt worden. Im Herbst des Jahres 1945 fanden Pilzsucher 3 der Leichen – zur letzten Ruhe gebettet wurden sie auf dem Friedhof in Atzenbach. Zuvor bereits waren drei weitere Zwangsarbeiter im Hägelberger Forst ermordet worden, nachdem sie dort mit Hitlerjungen ebenfalls Unterstände für die Organisation Werwolf gegraben hatten.

Einer der erstaunlichsten Aspekte dieses Kriegsverbrechens in der Idylle des Kleinen Wiesentals sei für ihn, so erzählt der bald 80 Jahre alte frühere Landarzt Hans Viardot – er stammt aus Tegernau –, wie lange dieses Verbrechen vor Ort einfach unter Verschluss gehalten wurde. Er habe mit einigen der einstigen Hitlerjungen am Stammtisch gesessen, sie und ihre Familien über Jahrzehnte medizinisch betreut und niemand habe ihm auch nur ein Sterbenswörtchen anvertraut, staunt Viardot.

 Vom französischen Militärgericht verurteilt

Das große Schweigen sei umso erstaunlicher, als die Tat bereits in den 1950er Jahren juristisch aufgearbeitet wurde. Damals berichtete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel ausführlich darüber, wie die jugendlichen Schützen vom französischen Militärgericht zu zum Teil mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden und wie sich Leutnant Kurt Rahäuser, der den Mordbefehl gab, durch Flucht ins Ausland der Verantwortung entzog. Rahäuser wurde erst im Jahr 1985 vor dem Landgericht Waldshut-Tiengen "wegen Beihilfe zum Totschlag" zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Und erst gegen Ende des Jahrtausends wurden die Verbrechen von Hägelberg und Elbenschwand einer breiten Öffentlichkeit bekannt – nicht zuletzt durch die Recherchen des Historikers und einstigen Lörracher Schulamtsleiters Hansjörg Noe und eines engagierten Lehrers am Steinener Schulzentrum.

Am Tatort in Hägelberg steht nun schon länger ein kleines Mahnmal. Der an die drei Tonnen schwere Findling mit bronzener Tafel hoch über Elbenschwand wurde dort – auf Initiative von KuK Kleines Wiesental erst im Jahr 2015 hingestellt. "Es ist ein grober Klotz für eine grobe Tat", erklärt Hans Viardot die Idee.

Nazis erklärten Kindersoldaten zu Helden


Tränen in den Augen: Zeitzeuge Ernst Brenneisen. 
Foto: Robert Bergmann
 
Mit hinauf auf den Hirschberg ist auch Ernst Brenneisen gekommen. Der heute weit über 80-jährige Landwirt vom Heuberg oberhalb von Schlächtenhaus hat als Kind die im Hägelberger Wald arbeitenden Hitlerjungen am elterlichen Hof vorbeiziehen sehen, wenn sie sich mit Proviant beim Schlächtenhauser Ortsgruppenführer versorgten. Sein Vater habe den braunen Machthabern als politisch unzuverlässig gegolten, erzählt Brenneisen. Und er beschreibt die Methoden, mit denen die Kinder und Jugendlichen einst von den Nazis auf braune Linie gebracht wurden.

Brenneisens hatten ebenfalls einen jungen Zwangsarbeiter auf dem elterlichen Hof, mit dem sich der junge Ernst bestens verstand. Er erzählt von gefährlichen Spielchen mit im Wald gefundenen scharfen Patronen und vieles mehr. "Für uns war es eigentlich eine furchtbare Zeit", findet Brenneisen in der Rückschau und ist den Tränen nah. Die Nazis hätten junge Kindersoldaten zu Helden erklärt, doch "so viele Helden sind gestorben", sagt er. Dass es heutzutage wieder eine größere Zahl von Menschen gibt, die – in Chemnitz und anderswo – Jagd auf Menschen machen und Flüchtlinge ausgrenzen, sei schlimm für Deutschland.

Der Fluch der bösen Tat ließ sie nicht mehr los

Und während es auf dem Hirschkopf zu regnen beginnt, entwickelt sich unter den Teilnehmern der Hautnah-Exkursion eine angeregte Diskussion darüber, inwieweit nicht auch die jungen Täter von damals in gewisser Weise zu den Opfern des damaligen mörderischen Systems zählen und wie man sich selbst wohl verhalten hätte. Unter den BZ-Lesern besteht Einigkeit darüber, dass es den Nachgeborenen kaum ansteht, sich über die damaligen Täter zu erhöhen. "Sie waren doch eingebunden in ein System von Befehl und Gehorsam", sagt ein Teilnehmer.

Hans Viardot erinnert daran, wie den jungen Werwölfen bei ihrer zuvor in Lörrach-Haagen absolvierten Ausbildung eingetrichtert wurde, zu welch kriegswichtiger ja kriegsentscheidender Arbeit sie in Hägelberg und Elbenschwand angeblich abgestellt wurden. Und doch gab es da jenen einen jungen Mann, der – Befehl hin oder her – zwei junge Zwangsarbeiter warnte, sie zur Flucht aufforderte – und sich damit den Zwängen einfach widersetzte. Es macht traurig zu erfahren, dass drei der damaligen Täter später Selbstmord begingen und kaum einer von ihnen sein Leben auf die Reihe gebracht hat – als habe der Fluch der bösen Tat sie niemals wirklich losgelassen.

Nachdenklichkeit beherrscht die Gruppe, als es wieder hinabgeht zur Wolfsschanze, wo die Autos stehen. Es gäbe noch so viel mehr zu sehen hier oben – die von den "Werwölfen" angelegten Proviantlager etwa für den ausgefallenen Partisanenkrieg – die gleich nach dem Krieg von der Bevölkerung geplündert wurden. "Das stülpt einen schon um", sagt ein ehemaliger Lehrer des Steinener Schulzentrums nach diesem Ausflug, der seinen Abschluss im Tegernauer Wirtshausmuseum "Krone" findet. Hans Viardot kann bei Kaffee und Kuchen auch die angenehmeren Aspekte der Kleinwiesentäler Lokalgeschichte hervorheben.

 

Die Lehren der Geschichte

(ST)EINWURF: Keine einfachen Wahrheiten

Von Robert Bergmann

 Welche Lehren wir aus der Geschichte ziehen können? Sehr viele, wenn wir denn bereit wären, uns die Vergangenheit daraufhin anzuschauen, was sie uns fürs heutige Leben lehrt, statt sinnlos die Jahreszahlen der Gründung Roms oder des Prager Fenstersturzes herunterzubeten. Leider aber macht es uns die Geschichte nicht immer ganz einfach, die Lektion herauszubekommen, die in einem historisch verbrieften Vorgang steckt. Ich habe mich ja nun zum wiederholten Male mit dem Mord an jungen Zwangsarbeitern durch quasi gleichaltrige Hitlerjungen aus der Region am Ende des Zweiten Weltkriegs in Hägelberg und Elbenschwand beschäftigt. Unfassbar erscheint uns Nachgeborenen dieser Achtfachmord auf den allerersten Blick und dann – unter dem Aspekt von Befehl und Gehorsam auch wieder erklärbar. Dass die Jugendlichen sich einem machtvoll auftretenden "Kriegshelden" wie Leutnant Rahäuser nicht in den Weg stellen mochten, als dieser sie mit barschen Worten aufforderte, ihre "militärische Pflicht" zu erfüllen, dafür dürfte der ein oder andere Verständnis haben. Lautet die historische Lektion in diesem Fall somit, dass auch wir nicht gefeit wären, eine grausame Tat zu begehen, wenn denn zuvor nur genügend psychischer Druck auf uns ausgeübt wird? Schauen wir nun aber genauer hin, ist auch dieser Fall durchaus komplex. Da ist jener junge HJ-ler , der – als er erfährt, dass die jungen Zwangsarbeiter ermordet werden sollen – zwei von ihnen warnt und ihnen zur Flucht verhilft. Einer von 20 hat also den Mumm und das Hirn, sich dem brutalen Befehl zu widersetzen. Sollte die Lektion also ganz anders lauten? Etwa so, dass Zivilcourage möglich ist – selbst wenn einem die ganze Kindheit über inhumane Propaganda ins Hirn geknetet wurde? Es ist wirklich ein Kreuz mit der Geschichte. Nie gibt sie klare Antworten. Ständig sind wir gefordert, selbst nachzudenken und eigene Schlüsse zu ziehen. Vielleicht ist aber auch einfach der Anspruch zu hoch, aus der Vergangenheit lernen zu wollen. Manch einer von uns lernt schließlich noch nicht einmal aus dem, was ihm in der unmittelbaren Gegenwart so alles passiert.

 

 

 

Original-Bericht: BZ / Robert Bergmann
 

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