zurück

Presse - Aktuell

 

MT - Zeitreise vom 12. Mai 2018

 

 

Tannen wie ein Mantel des Schweigens

Granitklotz erinnert an die Werwolf-Morde von Elbenschwand /                      
                     Das Grauen wurden die Täter Zeit ihres Lebens nie wieder los

Von Birgit-Cathrin Duval

Es gibt Orte, die düstere Geheimnisse wahren. Orte, an denen sich Schreckliches zugetragen hat. Einer davon liegt tief verborgen im Wald abseits von Dörfern und Siedlungen, in einer einsamen Höhe zwischen dunklen Tannen, deren Äste sich wie ein Mantel des Schweigens darüber breiten: Der Hirschkopf bei Elbenschwand im Kleinen Wiesental. Ende April 1945 erschossen dort Angehörige einer Werwolf-Einheit fünf jugendliche Zwangsarbeiter und verscharrten sie danach im Wald.

An die schrecklichen Morde, nur wenige Tage vor Ende des Zweiten Weltkriegs, würde sich heute kaum jemand mehr erinnern. Der Verein »Krone und Kultur Kleines Wiesental« (KuK, Kreis Lörrach) setzte sich jahrelang dafür ein, dass das Verbrechen nicht in Vergessenheit gerät. Um die Ereignisse aufzuarbeiten, beauftragten sie den Lokalhistoriker Hansjörg Noe aus Lörrach mit der Recherche, Noe beschäftigt sich seit Jahren mit Themen der NS-Zeit. »Über die Tat wurde nicht geredet«, erklärt Hans Viardot von KuK. »Das Thema wurde verdrängt.«

Mit Motorsäge unterwegs

Es ist ein sommerlicher Tag im April. In Tegernau treffe ich mich mit Viardot, Arzt im Ruhestand, und dem Lehrer Hansjürg Baumgartner, beides KuK-Mitglieder. Viardot verstaut eine Motorsäge im Kofferraum seines Geländewagens. Gemeinsam fahren wir zu jenem Ort, der vor 73 Jahren zum Tatort eines sinnlosen Verbrechens wurde. Zwischen Tegernau und Bürchau zweigt eine enge Straße ab und führt in Serpentinen aus dem Tal der Kleinen Wiese hinauf nach Elbenschwand. Handgemachte Schilder mit dem Aufdruck »Mahnmal« weisen den Weg zum Hirschkopf. Dort wurde im November 2015 in unmittelbarer Nähe des Tatorts ein Mahnmal errichtet.

Sturm »Burglind« hat auf den Forstwegen eine Spur der Verwüstung hinterlassen. An vielen Stellen liegen Bäume wie Mikadostäbe über dem Weg. Alle paar Meter halten wir an, Viardot wirft die Motorsäge an, Baumgartner räumt abgesägte Stämme und Äste zur Seite. Je näher wir zum Hirschkopf kommen, desto undurchdringlicher wird der Weg. Schließlich müssen wir den Geländewagen stehen lassen, zu Fuß weitergehen. Am Wegrand stehen Grenzsteine mit der Jahreszahl 1790 und eingemeißelten Wappen. Sie markieren den Verlauf der historischen Grenze zwischen dem Großen Wiesental, das zum Haus Habsburg gehörte und dem Kleinen Wiesental, das dem badischen Markgrafen unterstand.


Besuch beim Mahnmal am Hirschkopf: Hansjürg Baumgartner (links) und Hans Viardot
vom Verein
»Krone und Kultur Kleines Wiesental« (KuK)    Foto: B.-C. Duval

Direkt am Wanderweg an der höchsten Stelle des Hirschkopfes auf 1053 Metern, mitten in einem dichten Waldstück, liegt der Granitklotz mit eingravierten Tafeln: »In diesem Waldstück starben im April 1945 fünf jugendliche Zwangsarbeiter aus Osteuropa. Den Werwölfen angehörende Hitlerjungen haben sie in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs auf Befehl eines SS-Offiziers hingerichtet. Wir gedenken der Opfer dieser menschenverachtenden Tat und setzen diesen Stein als Mahnmal gegen das Vergessen.«

Was damals geschehen ist

Die Ermordung der Zwangsarbeiter hat Hansjörg Noe anhand von Spiegel-Berichten aus den 50er-Jahren, Sichtung der Prozessakten im Bundesarchiv Ludwigsburg und Gesprächen mit Zeitzeugen recherchiert.

Deutschland, März 1945. Jugendliche und Männer über 60 Jahre werden für den »Volkssturm« mobilisiert. SS-Reichsführer Heinrich Himmler befehligt den Aufbau von Werwolf-Einheiten. Sie sollen an strategischen Punkten Schanzen, Bunker und Waffenverstecke in Vorbereitung eines Partisanenkriegs anlegen.

In Lörrach-Haagen werden HJ-Jungen. keiner von ihnen ist über 17 Jahre alt, ausgebildet. Eine zweite Gruppe kommt vom Wehrertüchtigungslager in Brombach. Einer dritten Gruppe gehören zwei Waffen-SS-Soldaten und weitere Hilfsausbilder an. Ihr Einsatzbefehl in den letzten Kriegslagen lautet: Stellungen anzulegen, um den Feind aus den Wäldern heraus anzugreifen. Das Kommando führt Kurt Rahäuser, der später auch den Befehl zur Erschießung der Zwangsarbeiter erteilt.

Kurt Rahäuser stammt aus Rheinau-Freistett, dem heutigen Ortenaukreis. In Lörrach ist er HJ-Bannführer, bevor er die Führung der Werwolfgruppen übernimmt. Rahäuser, damals 29 Jahre alt, kriegsverletzter Oberstleutnant der Wehrmacht und Träger zahlreicher Verdienstorden, wird in späteren Gerichtsprotokollen als charismatische Idolfigur und glühender Nationalsozialist beschrieben.

Die Gruppe aus 18 Werwölfen und zwei Erwachsenen SS-Männern muss in den Wäldern bei Eibenschwand (Kleines Wiesental) und Hägelberg (Steinen) Geschütz-Unterstände ausheben. Zur Unterstützung werden ihnen zehn Zwangsarbeiter aus Osteuropa zugeteilt. Bis auf einen 37-Jährigen sind sie im selben jugendlichen Alter wie die Werwölfe. Der jüngste der Zwangsarbeiter ist 14 Jahre alt. Die Burschen, so ist es den späteren Gerichts Protokollen zu entnehmen, arbeiten gemeinsam, abends sitzen sie zusammen, rauchen, spielen Karten, singen. »Wir wuchsen mit denen zu einer Gemeinschaft zusammen«, gibt einer der Täter später vor Gericht zu Protokoll.


Die beiden KuK-Mitglieder blicken auf einen ehemaligen Gefechtsstand
der Werwölfe am Hirschkopf.  
Foto: B.-C. Duval

Alles ändert sich, als die Franzosen am 22. April 1945 über den Rhein und weiter ins Markgräflerland und in den Schwarzwald vordringen. Gerüchte kommen auf, dass die Zwangsarbeiter erschossen werden sollen, um die Anlagen nicht zu verraten. Einer der Hitlerjungen ermutigt sie zur Flucht, nur zwei machen sich aus dem Staub. Als Rahäuser davon erfährt erteilt er, zunächst schriftlich, den Befehl die Zwangsarbeiter zu erschießen.

In Hägelberg werden auf den Befehl Rahäusers hin drei Zwangsarbeiter hingerichtet. Volker Koop beschreibt die Tat in seinem Buch »Himmlers letztes Aufgebot: die NS-Organisation >Werwolf<«: Demnach zwang ein SS-Mann unter vorgehaltener Waffe zwei Hitlerjungen dazu, die Zwangsarbeiter zu ermorden. Die Leichen wurden Monate später mit zertrümmerten Schädeln gefunden.

Einen Tag später, am 26. April kommt Rahäuser persönlich zum Hirschkopf. Dort müssen die fünf Zwangsarbeiter in zwei Gruppen aufgeteilt, vor den Werwölfen hergehen - wahrscheinlich ahnen sie nicht, dass sie von ihren gleichaltrigen »Kameraden« hinterrücks erschossen werden sollen. Drei werden an der Gemarkungsgrenze Käsern/Pfaffenberg hingerichtet, zwei in der Nähe des heutigen Mahnmals. Nachdem sie die Zwangsarbeiter erschossen hatten, liefen die Täter davon.

Im Sommer 1945 werden im Wald oberhalb von Heuweiler bei Schlächtenhaus drei Leichen entdeckt. Im Herbst stoßen Pilzsucher bei Käsern auf weitere Leichenfunde. Um die Tat zu vertuschen, verscharren zwei der ehemaligen Werwölfe die beiden Toten* - sie liegen noch heute irgendwo in den Wäldern am Hirschkopf. Die drei bei Käsern aufgefundenen Toten werden später in Zell-Atzenbach beerdigt. Auf dem Friedhof existiert noch heute die Grabplatte mit der Inschrift »Hier ruhen drei Unbekannte«.

Der Prozess

Im Juli 1950 kommt es vor dem französischen Militärgericht zum Prozess. Sechs an den Morden beteiligte Werwölfe erhalten Gefängnisstrafen zwischen drei Monaten und sieben Jahren, ein SS-Sturmbandführer wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Kurt Rahäuser erhält die Todesstrafe. Sie wird nie vollstreckt. Rahäuser ist untergetaucht. Erst als eine neue Gesetzeslage bestimmt, dass er wegen dieser Tat nicht noch einmal von einem bundesdeutschen Gericht verurteilt werden darf, kehrt er in seinen früheren Wohnort zurück, nimmt eine Arbeit auf, bezieht Kriegsversehrtenrente.

1964 nimmt ein Waldshuter Staatsanwalt den Fall auf, scheitert jedoch an jenem Überleitungsvertrag. Erst 40 Jahre später, Rahäuser ist inzwischen 69 Jahre alt, wird der Fall erneut vor dem Amtsgericht Waldshut aufgerollt, der Befehl für die Morde können ihm jedoch nicht mehr nachgewiesen werden. 1985 wird Rahäuser wegen Beihilfe zum Totschlag zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

»Nach den Schüssen sind wir nur noch gerannt - weg vom Ort des Grauens«, sagt ein ehemaliger Werwolf-Angehöriger als 57-Jähriger im Prozess 1985 aus. Obwohl sie nie wieder an den Tatort zurückkehrten - das Grauen wurden sie Zeit ihres Lebens nie wieder los. Von den ehemaligen Werwolf-Angehörigen stirbt einer bei der Explosion eines Blindgängers, einer begeht Suizid durch Erhängen, von Zweien verliert sich die Spur in Südamerika aus, andere werden zu Alkoholikern.

Auf Initiative einer Gruppe vom Schulzentrum Steinen wird 1996 am Tatort im Hägelberger Wald ein Gedenkstein errichtet. Heute ist der Stein kaum mehr auffindbar. Weitere 20 Jahre vergehen, bis endlich 2015 das Mahnmal am Tatort im Elbenschwander Wald errichtet wird. Darauf steht:
»In Gedenken an die Toten: Peter Lukjanow, Edouard Jucsis. A|fons Ryngucki, Stanislaw Grutus,
                                                Ceslaw Kinezki, Anton Tschaplinski, Sislaw Jablonowski, Nikolai Sobbanow.«

 

WEITERE INFORMATIONEN:

> Der Verein KuK unternimmt regelmäßig Führungen zum Mahnmal auf dem Hirschkopf.

> Informationen und Termine unter http://www.kuk-kleines-wiesental.de

 

 

* Anmerkung des Webmasters: gemeint sind die 2 Toten, die auf der Elbenschwander Gemarkung erschossen wurden.

 

 

zurück  

nach oben